Clozapin: Zwischen Wunderwaffe und Risiko

Clozapin gilt als Rettung für viele Patienten mit therapieresistenter Schizophrenie, bringt aber erhebliche Risiken mit sich. Unsere aktuelle AMSP Studie beleuchtet die Häufigkeit und Art der schweren unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) von Clozapin im stationären Setting. Etwa 1,53 % der mit Clozapin-behandelten Patienten entwickelten schwerwiegende UAW, wobei ältere Patienten ein höheres Risiko aufwiesen. Besonders häufig traten neurologische Störungen, Blutbildveränderungen, Delirium sowie gastrointestinale und kardiovaskuläre UAW auf.

Besonders kritisch waren Grand-Mal-Anfälle und Agranulozytose. Insgesamt ereigneten sich fünf Todesfälle, die durch Agranulozytose und einen paralytischen Ileus verursacht wurden – Letzterer war besonders tödlich. Dies zeigt, dass nicht nur die bekannten Risiken wie Blutbildveränderungen, sondern auch oft unterschätzte Probleme wie Obstipation mit nachfolgenden Konsequenzen ernst genommen werden müssen.

Die Ergebnisse verdeutlichen die Notwendigkeit einer intensiven Überwachung der Clozapinbehandlung und zwar nicht nur hinsichtlich der gut bekannten Agrandulozytose und auch bei niedrigen Dosen. Regelmäßige klinische Untersuchungen sollten Standard sein, um gefährliche Komplikationen frühzeitig zu erkennen und idealerweise sogar zu vermeiden. Dies ist entscheidend ist, um Clozapin sicher und effektiv einzusetzen.

Lithium im Verschwinden: 23 Jahre Rückgang in der Verschreibung

Lithium, einst das Mittel der Wahl zur Behandlung bipolarer Störungen, wird seit Jahren immer seltener verschrieben. Das belegen auch die Daten unserer aktuellen Arbeit unter Anwendung von AMSP Daten aus psychiatrischen Kliniken in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Sie zeigen einen signifikanten Rückgang der Lithiumverschreibungen – nicht nur bei bipolaren Störungen, sondern bei allen Diagnosegruppen, also auch bei schizoaffektiven Störungen und Depressionen.

Hauptgründe für diesen Rückgang sind wohl die strenge Überwachung des Blutspiegels, Sicherheitsbedenken bezüglich unerwünschter Arzneimittelwirkungen und die zunehmende Dominanz moderner Antipsychotika. Während der Rückgang bei bipolaren Störungen seit 2002 stagniert, bleibt die Verwendung bei anderen Diagnosen rückläufig.

Trotzdem bleibt Lithium ein unverzichtbares Medikament, besonders bei der Suizidprävention. Die Studie fordert deshalb verstärkte Schulungen für Kliniker, um die sichere Anwendung zu gewährleisten.

Auf die vollständige Arbeit können Sie selbstverständlich kostenlos zugreifen unter folgenden Link: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/39173675/

Quellen: Greil, W., de Bardeci, M., Nievergelt, N., Toto, S., Grohmann, R., Seifert, J., & Schoretsanitis, G. (2024). Twenty-Three Years of Declining Lithium Use: Analysis of a Pharmacoepidemiological Dataset from German-Speaking Countries. Pharmacopsychiatry. DOI: 10.1055/a-2374-2386.

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Ein komplikationsreicher postoperativer Verlauf bei einem mit Clozapin behandelten Patienten -- Kasuistik aus der AMSP

Clozapin gehört zu den Psychopharmaka mit der komplexesten Handhabung. Dies gilt insbesondere für die Neueinstellung auf Clozapin, da in dieser Zeit besonders auf schwere unerwünschte Arzneimittelwirkungen wie Agranulozytose und Myokarditis zu achten ist, aber auch unter bestimmten Umständen bei Patienten, die schon länger Clozapin nehmen. Eine besondere klinische Situation bei mit Clozapin behandelten Patienten sind hier Operationen und Infektionen. Beides kann die Metabolisierung von Clozapin über die beteiligen Cytochrom-P450-Isoenzyme, und hierunter vor allem CYP 1A2, soweit verändern, dass es zu Intoxikationen kommen kann. Die Ursachen hierfür sind oftmals multifaktoriell: So kann einerseits ein Rauchstopp postoperativ oder während z.B. einer Pneumonie eine De-Induktion von CYP 1A2 bewirken, aber auch postoperativ oder infektiös bedingt freigesetzte Zytokine können die CYP-Enzyme hemmen. Die Folge ist, dass ein ehemalig gut vertragene Dosis mit Serumkonzentration im therapeutischen Zielbereich nun eine Intoxikation bedingt mit entsprechenden Intoxikationserscheinungen. Die in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Psychopharmakotherapie publizierte Kasuistik zeigt einen solchen Verlauf mit seinen zahlreichen Komplikationen auf und ist für Abonnenten der Zeitschrift zugänglich.

Ein komplikationsreicher postoperativer Verlauf bei einem mit Clozapin behandelten Patienten - 02 - 2024 - Heftarchiv - PPT (ppt-online.de)

Neue Originalarbeit der AMSP zum Thema Ödeme unter Psychopharmakotherapie

Jüngst im “Journal of Neural Transmission” ist die neuste AMSP-Arbeit zum Thema Psychopharmaka-assoziierte Ödeme erschienen. Diese eher unscheinbare unerwünschte Arzneimittelwirkung (UAW) kann neben einer erheblichen Beeinträchtigung des betroffenen Patienten auch wesentlich die weitere Therapieadhärenz gefährden. Insbesondere sollte unter der Behandlung mit Pregabalin und Mirtazapin hierauf geachtet werden. Ödeme als UAW sind jedoch bei nahezu allen Psychopharmaka beschrieben und sollten dementsprechend im klinischen Alltag berücksichtigt werden.

Den Link zur vollständigen Publikation finden Sie hier:

Edema related to treatment with psychotropic drugs | Journal of Neural Transmission (springer.com)

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"Das Blutungsrisiko unter Antidepressiva verstehen und einschätzen" in Fortschritte der Neurologie · Psychiatrie

Dass serotonerg wirksame Antidepressiva das Risiko für Blutungen erhöhen können ist mittlerweile gut bekannt. In der Übersichtsarbeit “Das Blutungsrisiko unter Antidepressiva verstehen und einschätzen“ beschäftigt sich das Autorenteam der AMSP mit der dahinterstehenden Pathophysiologie und stellen die aktuell verfügbare Literatur zur Risikoerhöhung von Blutungsereignisse unterschiedlicher Antidepressivaklassen vor.

Seifert J, Eckermann G, Heck J, Bleich S, Dabbert D, Grohmann R, Toto S. Das Blutungsrisiko unter Antidepressiva verstehen und einschätzen. Fortschr Neurol Psychiatr. 2023 Jun 16. doi: 10.1055/a-2089-3490.

COVID-19-Impfung unter Psychopharmakotherapie: Übersichtsarbeit in "Psychiatrische Praxis" erschienen

Ein interdisziplinär zusammengesetztes Autor*innen-Team von AMSP hat in der Fachzeitschrift “Psychiatrische Praxis” die Übersichtsarbeit COVID-19-Impfung unter Psychopharmakotherapie veröffentlicht. Seit Dezember 2020 stehen in der Europäischen Union Impfstoffe gegen das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 zur Verfügung. Psychisch erkrankte Personen haben ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf einer SARS-CoV-2-Infektion. Der Artikel beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern Interaktionen zwischen den neuen SARS-CoV-2-Impfstoffen und Psychopharmaka zu erwarten sind.

Psychopharmakotherapie in Zeiten der COVID-19-Pandemie: Übersichtsarbeit in "Der Nervenarzt" erschienen

Ein interdisziplinär zusammengesetztes Autor*innen-Team von AMSP hat in der deutschsprachigen Fachzeitschrift “Der Nervenarzt” die Übersichtsarbeit Psychopharmakotherapie in Zeiten der COVID-19-Pandemie veröffentlicht. Der Artikel beschäftigt sich mit der Auswirkung von Infektionserkrankungen wie COVID-19 auf die medikamentöse Therapie psychiatrischer Erkrankungen. Ebenfalls werden mögliche Wechselwirkungen zwischen Psychopharmaka und Medikamenten zur Behandlung von COVID-19 beleuchtet.

Seifert, J., Heck, J., Eckermann, G., Singer, M., Bleich, S., Grohmann, R., & Toto, S. (2020). Psychopharmakotherapie in Zeiten der COVID-19-Pandemie. Der Nervenarzt, 91(7), 604–610. https://doi.org/10.1007/s00115-020-00939-4

Zytokineffekt bei fieberhaften Erkrankungen und dessen Auswirkungen auf die Medikation

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
bitte bedenken Sie in der jetzigen Situation, dass es bei einer Infektionskrankheit mit Fieber und korrelierend mit einem Anstieg des CRP durch Cytokine zu einer Hemmung des Abbaus von bestimmten Medikamenten mit einem Anstieg der Wirkstoffkonzentrationen im Blut kommen kann.
Ein erhöhter Medikamentenspiegel steigert die Gefahr unerwünschter Arzneimittelwirkungen mit z. B. Vigilanzstörungen, erhöhtem Delir- und EPMS-Risiko.
Bei fieberhaften Infektionen mit CRP-Anstieg ist also an eine potenziell notwendige Reduktion der Medikamentendosierungen zu denken! Bestimmte Antibiotika mit Hemmeffekt auf CYP-Enzyme wie Ciprofloxacin oder Clarithromycin können den Spiegelanstieg noch zusätzlich verstärken.
Bei Medikamenten wie Clozapin und Olanzapin sowie Duloxetin ist ebenfalls zu bedenken, dass das Pausieren oder Reduzieren des Rauchens normaler Zigaretten (nicht E-Zigaretten) während eines Infektes ebenfalls - durch Deinduktion von CYP1A2 - zu einem Anstieg des Spiegels bis zum Doppelten oder gar Dreifachen führen kann. Diese Patienten sind besonders gefährdet in Bezug auf eine Intoxikation.
Von einem Spiegelanstieg bei Fieber betroffen sind nachgewiesenermaßen Medikamente wie Clozapin (!), Risperidon, Quetiapin. Aber auch andere Substanzen sowie internistische Medikamente, z. B. auch Theophyllin, könnten dadurch betroffen sein, so dass auf Vigilanz, EPMS, Blutdruck, Herzfrequenz, QTc-Strecke etc. gut zu achten ist.
Insbesondere bei Clozapin-Patienten, die Fieber haben, aber auch bei Risperidon (und evtl. Quetiapin) sollte überlegt werden, die Dosierung zu verringern. Eine feste Regel hierfür ist nicht aufstellbar, jedoch ist eine ca. 30-50%ige Reduktion zu empfehlen. Klinische Überwachung und Spiegelkontrollen sollten unbedingt durchgeführt werden (Talspiegel morgens vor der Einnahme).
Es sollte mit der Reduktion nicht auf das Spiegelergebnis gewartet werden, denn die Latenz von der Blutabnahme bis zur Übermittlung des Ergebnisses beträgt evtl. mehrere Tage und in dieser Zeit sind die Effekte der überhohen Medikamentenspiegel dann schon ausgeprägt vorhanden. Die Dosisreduktion sollte also erfolgen, sobald das Fieber und die CRP-Erhöhung auftreten.
Bei Depotpatienten ist im Einzelfall kritisch zu überlegen, wie derzeit vorzugehen ist. Das Depot ist nach Verabreichung über Wochen im Organismus wirksam, so dass die Dosis nicht mehr reduziert werden kann, wenn ein Patient Fieber bekommt. Die Überwachung ist daher bei einer Infektionserkrankung mit Fieber und CRP-Anstieg besonders sorgfältig vorzunehmen. Bei besonders gefährdeten Patienten ist eine Umstellung auf eine orale Gabe zu erwägen, jedoch sehr kritisch zu überdenken, da eine psychotische Exazerbation natürlich zu befürchten ist. Zudem ist einzukalkulieren, dass die Medikamentenspiegel bei Depotverabreichung niedriger sind als bei der oralen Gabe, also bei der Depotapplikation mehr „Luft nach oben“ ist.
Und gerade Patienten mit Psychose sind in der derzeitigen Situation teilweise durch die Coronavirus-Angst mehr belastet und neigen eher zur Dekompensation. Dies ist immer zu bedenken.
Vor der Umsetzung der angeführten Überlegungen und Empfehlungen ist unbedingt die Anwendbarkeit beim individuellen Patienten zu überprüfen.

Gabriel Eckermann (Externer Mitarbeiter am BKH Kaufbeuren) und Monika Singer (OÄ der PIA der kbo-Lech-Mangfall-Kliniken, BKH Agatharied)

Medikamentenspiegel bei Fieber siehe auch:

Haack, M. J., Bak, M. L., Beurskens, R., Maes, M., Stolk, L. M., & Delespaul, P. A. (2003). Toxic rise of clozapine plasma concentrations in relation to inflammation. European neuropsychopharmacology : the journal of the European College of Neuropsychopharmacology, 13(5), 381–385. https://doi.org/10.1016/s0924-977x(03)00042-7

Hefner, G., Shams, M. E., Unterecker, S., Falter, T., & Hiemke, C. (2016). Inflammation and psychotropic drugs: the relationship between C-reactive protein and antipsychotic drug levels. Psychopharmacology, 233(9), 1695–1705. https://doi.org/10.1007/s00213-015-3976-0

Hefner, G., Shams, M. E., Unterecker, S., Falter, T., & Hiemke, C. (2016). Inflammation and psychotropic drugs: the relationship between C-reactive protein and antipsychotic drug levels. Psychopharmacology, 233(9), 1695–1705. https://doi.org/10.1007/s00213-015-3976-0